Allmählich macht sich die Welt Sorgen ums Kinogeschäft. Netflix und Co. haben das Game geändert – ganze Sehgewohnheiten von Kulturen um 180 Grad gedreht.
Nicht nur, dass man sich inzwischen aussucht WANN man sich seine Serien und Filme anschaut. Die Zeit ist reif, um die Zuschauer über die klassischen 120 Minuten am Bildschirm zu halten, weil die Qualität von Serien immer mehr zunimmt und großen Blockbustern in nichts mehr nachstehen.
Altered Carbon zeigt uns die (Netflix) Zukunft
Ich erinnere mich gut daran, als ich als Kind ein neues Pen & Paper Spiel à la DSA oder D&D mit Freunden ausprobierte: Shadowrun. Da wurde es Menschen möglich sich zu verbessern. Und zwar mit Hilfe von Implantaten und Roboterarmen oder -beinen. Nicht mit vermoderten Artefakten oder magischen Sprüchen. Das klang letztlich genauso wie die Serie Der 6-Millionen-Dollar-Mann. Nur eben in cooler. Es war eine ungeahnte Science-Fiction für mich und ich verliebte mich zugleich in die Idee irgendwann selbst ein Implantat zu tragen oder die Schule obsolet zu machen. Wissen könnte man sich ja dann einfach ins Gehirn laden. Im Übrigen hätte damals niemand geahnt, dass das Streamen von Filmen über das Internet (Inter-was?) möglich sein würde. Netflix ist sozusagen Science-Fiction par excellence.
Als ich wenig älter wurde, kam ich dann in den Genuss von Blade Runner auf VHS Kassette. Sowas hatte ich zuvor noch nie gesehen. Blade Runner. Nicht die VHS-Kassette. Ungeachtet davon, dass Harrison Ford mein Kindheitsheld ist („Hallo? Han Solo? Indiana Jones? Blade Runner? In einer Person? Wie cool ist das denn, bitte?“ Siehe auch meinen Beitrag „Ich bin ein Nerd“ A.d.R.) erweckte dieser Film die inzwischen eingeschlafene Neugier auf Shadowrun erneut. Und dann geschah es: Das Jahr 1999.
Die Menscheit ist kurz vorm Millenium und die damaligen Wachowski Brüder zeigten der Welt die Matrix. Ich konnte meine Augen nicht von der Leinwand nehmen. So stellte ich mir das Erlebnis 1982 vor, als Blade Runner in die Kinos kam. Ich war entsetzt, erstaunt und von der Geschichte vollends eingenommen.
Wenn man sich diesen Zeitstrang genauer ansieht, wird man rasch bemerken, dass die Menscheit sich nach einer künstlich herbeigeführten Evolution sehnt. Netflix macht da keine Ausnahme und präsentiert mit der Verfilmung der Romanvorlage von 2002 die teuerste Haus-Serienproduktion aller Zeiten: Altered Carbon!
Netflix stellt sich auf Autoren und Zuschauer ein, statt zu diktieren
Altered Carbon: Die wohl derzeit beste Science-Fiction-Gesellschaftskritik in Serienform, welche wir bis dato in vollkommener Effektqualität noch nicht auf dem heimischen Bildschirm sehen durften. Da könnten sich verschiedene Hollywood Filme eine Scheibe abschneiden. Hut ab, Netflix!
Zehn knallharte Folgen voller Verwirrung, perfekter Kampfchoreos und menschlicher Abgründe. Für mich bedeutete dies fast zehn Stunden Bingewatching und einen dicken Hinternabdruck in der Couch. Und das trotz unangenehmer Gesellschaftsthemen, welche man gerne ausblendet.
Bereits bei der deutschen Netflix-Produktion Dark fiel auf, dass man sich beim Streamingdienst nicht davor scheut unübliche Wege zu gehen. Wege, welche der Zuschauer nicht immer gut heißen wird – aber dennoch dazu bewegt die Fernbedienung auf dem Tisch liegen zu lassen. Im Autoren- und Regisseurkommentar wurde mir dann aber flott klar woran dies liegt: Es ist nicht so, dass Netflix geziehlt diese Punkte ansprechen möchte – was die Autoren so zaubern, ist den Produzenten (vereinfacht gesagt) schlichtweg egal. Rund muss es sein; und Geld einspielen.
Zudem leben wir in einer Zeit, in welcher wir froh sein können, nicht an einer Reizüberflutung umzufallen und das Atmen einzustellen. Plumpe Bewegtbilder mit Blut und nackter Brust reichen nicht mehr aus, um zu schockieren oder heimliche Gelüste zu befriedigen. Die Unterhaltungsindustrie hat sich ausgesaugt an Ideen. An Ideen für eine Zielgruppe, welche mindestens 20 Jahre (und mehr) in der Vergangenheit lebt. Studiobosse räumen nicht die Plätze für die junge Generation und so verpasst man, was da draußen vor der Flimmerkiste eigentlich abgeht.
Autoren von Computerspielen, Comics und Mangas haben es längst erkannt. Seit Jahren schon. Und verfassen Geschichten, welche tatsächlich gesehen werden wollen. Welche noch tatsächlich unterhalten. Man sieht es an steigenden Verkaufszahlen von entsprechenden Heften und Spielen. Hollywood scheint das zu ignorieren und beschäftigt sich damit die hauseigenen Autoren mit geringen Gehältern zu verärgern und zum Streik zu zwingen.
Hollywood möchte Netflix so gerne verstehen
So verwundert es nicht, dass Hollywood sich seit ca. zehn Jahren darin versucht die Ideen von eben benannten Autoren zu eigen zu machen. Comicverfilmungen sprießen nur so aus dem Boden. Und sicherlich unterhalten sie die große Masse weltweit. Die Filme spielen global Milliarden ein und zugegeben: Auch ich kann mich den Filmen aus dem Hause Marvels oder DCs nicht entziehen. Sind ja auch echt ein paar Schmankerl bei. Aber ich verbringe deutlich mehr Zeit vor Netflix als im Kino. Inzwischen.
Doch hier kommen wir zum Knackpunkt: Letztlich ist es doch immer die selbe Hausmannskost. Immer das gleiche Prozedere der Handlung. Es fehlen die Überraschungen. Vielleicht wäre es mal an der Zeit Effekte in Hollywood zu reduzieren und dort Kosten einzusparen, wo eine gute Geschichte deutlich besser zu platzieren ist.
Unangenehm und komplex: Ein Must-have für Oscars und Netflix?
Mit Ghost in the Shell hat man in Hollywood sicherlich eine gute Idee gehabt. Anime und Manga sind weltweit ein Hit gewesen und eine Realverfilmung (in Shadowrun-Manier) mit Diva Scarlett Johansson im hautfarbenen Body kommt immer gut. Wirbelsäulenfehlstellung hin oder her. Netflix hätte sicherlich eine ähnlich gute Produktion an den Mann (und die Frau) gebracht.
Und wieder zeigt sich das mutige Geschichten bei Kritikern und Zuschauern gut ankommen. Wobei letztgenannter Film offiziell als „fast-Flopp“ galt. Das liegt aber eher am asiatischen Markt, welcher das Kulturgut in Gefahr sieht – wegen (allgemein gesprochen) europäisch/amerikanisch aussehender Darsteller.
Trotzdem wäre es fast zur Oscarnominierung gekommen. Ex-Machina hat sogar zwei Goldjungen gewonnen. Matrix konnte gar vier an der Zahl mitnehmen. Selbst Blade Runner brillierte mit zwei Oscars. Und sein Nachfolger wurde in diesem Jahr für fünf Trophäen nominiert und durfte sich zwei in den Schrank stellen. Schauen wir uns das Ergebnis von Arrival mit acht Oscar Nominierungen 2017 an. Einmal durften die Macher auf die Bühne kommen. Und wenn wir uns den Abräumer Shape of Water 2018 ansehen, dann wird schnell klar, dass mutige Sci-Fi/Fantasy Filme sogar vier Pokale in die Luft recken dürfen.
Vergleichen wir das mit den gewonnen Oscars für die zehn Jahre anhaltenden Marvel Comicverfilmungen, dann stellen wir schnell fest, dass man hier nicht einen Goldjungen erreichen konnte. Lediglich DC hat 2009 mit der Batman-Nolan Triologie zweimal gepunktet (bei acht Nominierungen). Und wo wir schon bei Chrisopher Nolan sind: Vier Oscars für Inception, welcher sogar insgesamt acht mal hätte gewinnen können und ein weiterer Goldjunge für Interstellar – bei der Möglichkeit von fünf Oscars.
Hollywood trau Dich etwas oder lass Netflix vorbeiziehen!
Wir sehen also das unangenehme, verstörende Themen der Fantasy und Sci-Fi Autoren durchaus bei Kritikern und Zuschauern einen hohen Stellenwert genießen. Und Netflix hat dies erkannt und traut nun jungen Autoren und Regisseuren einiges zu. Lässt sie einfach machen.
Und schauen wir uns die Serie Altered Carbon genauer an, dann stellen wir fest, dass sich die Serie weder im Szenenbild, den Kostümen, dem Ton, noch bei der Handlung vor großen Hollywood Produktion verstecken braucht. Ganz im Gegenteil: Schaue ich mir die CGI Zauberei von Batman v Superman bzw. Justice League an und vergleiche diese mit zuvor benannter Serie, dann würde ich den Oscar (insofern es möglich wäre) an die Verfilmung von Mr. Morgans Roman geben.
Wie seht Ihr die Sache um Netflix? Hat Hollywood ausgedient? Geht Ihr überhaupt noch ins Kino? Welche Netflix Serien/Filme habt Ihr abgefeiert? Erzählt es mir per Instagram oder in den Kommentaren unter diesem Beitrag.